Am 14. September 2023 fand im Rahmen der Interkulturellen Sommerakademie von interculture e.V. die erste Netzwerkveranstaltung des WORT-Projektes statt. Unter dem Thema "Weltoffenheit und Skepsis" trafen sich circa 40 Personen, darunter Mitarbeiter:innen aus interkulturellen Zusammenarbeitsprojekten in Thüringen, Vertreter:innen der Stadtverwaltung und der Wirtschafts- und Innovationsförderung des Schmalkaldner Landkreises und interkulturelle Trainer:innen aus ganz Deutschland.
Matthias Hannemann von der Friedrich-Schiller-Universität Jena präsentierte zu Beginn der Veranstaltung seine Studienergebnisse zu "Rechtspopulismus und kollektive Emotionen im Unternehmenskontext". Die Studie konzentrierte sich auf Ostthüringen und umfasste über 80 Interviews mit Geschäftsführer:innen, Mitarbeiter:innen und Expert:innen. Die Erkenntnisse zeigten unter anderem:
- Emotionen wie Unzufriedenheit und kollektive Verbitterung beeinflussen regionalen Räume und nehmen Einfluss auf die Unternehmenspraktiken (wie z.B. Rekrutierungspraktiken, Kunden- und Geschäftsbeziehungen)
- Das subjektive Gefühl des "Zurückgelassenseins" in sogenannten "Left-behind-places" ist von zentraler Bedeutung. Dabei geht es mehr um das emotionale, subjektive Erleben als um rationale Fakten.
- Es wurden drei Arten von Unternehmenspraktiken identifiziert: exkludierende, offene und ambivalente Unternehmen. Ambivalente Unternehmen, die sich nicht klar gegen Fremdenfeindlichkeit positionieren, stellen die größte Gruppe in der Studie dar und reproduzieren teilweise exkludierende Praktiken (wie z.B. keine Einstellung von ausländischen Fachkräften), obwohl sie diese nicht wirklich befürworten, sondern weil sie sich unter Druck gesetzt fühlen von exklusiven Geschäftspartner:innen oder dem Kund:innenumfeld.
- Matthias Hannemann plädiert für ein Monitoring der emotionalen Zustände in den Regionen und empfiehlt den Maßnahmenfokus auf die ambivalenten Unternehmen zu richten und diese zu unterstützen, so dass sie nicht aus Druck fremdenfeindliche Praktiken reproduzieren.
Als nächstes brachte Julia Brade, Expertin vom Thüringer Zentrum für Interkulturelle Öffnung, ihre langjährige Erfahrung in der Begleitung von Veränderungsprozessen in Thüringer Verwaltungen ein. Sie unterstützte die Empfehlung, den Fokus auf ambivalente und offene Akteure zu legen und plädierte für mehr bedarfsorientierte Angebote zugeschnitten auf diese Bedenkenträger:innen.
In Julia Brades Arbeit hat sich bewährt, zunächst zu erfragen, was diese Organisationen zukunftsfähig macht und wie sich die Mitarbeitenden z.B. eine starke Stadtverwaltung vorstellen. Auf diese Weise können Problemfelder identifiziert werden, die den interkulturellen Öffnungsprozess unterstützen können. In ihren Augen ist es entscheidend, Maßnahmen zu entwickeln, die eine breite Akzeptanz finden, und ein Wording zu verwenden, das alle anspricht und mitnimmt: zum Beispiel durch Betonung von kooperativem Miteinander, Stressabbau und leicht verständlicher Sprache. Darüber hinaus ist es wichtig, Geduld zu haben und die Prozesse langfristig zu planen. Es reicht nicht aus lediglich Workshops durchzuführen - es sollten auch Follow-up-Angebote bereitgestellt werden, um nachhaltige Veränderungen zu ermöglichen, so Julia Brade.
Im zweiten Teil der Veranstaltung fanden zwei Workshops statt, in denen ausführlich darüber diskutiert wurde, wie mit Skepsis und Widerstand in Trainings und in organisationalen Veränderungsprozessen umgegangen werden kann.
Sabine Vana-Ströhla leitete Workshop 1 mit dem Titel "Interkulturelles Training - und keiner hat Lust? Methoden, um skeptische Zielgruppen zu erreichen", an dem 15 Personen teilnahmen. Dabei wurden verschiedene Ebenen der Motivation und ein Typenmodell für verschiedene emotionale Persönlichkeitstypen in Bezug auf Veränderung vorgestellt. In kollegialen Austauschrunden wurden Fragen erörtert, wie sich Widerstand zeigen kann und wie man als Trainer:in damit umgehen kann: zum Beispiel aktives Zuhören um auf emotionaler Ebene abzuholen und den Grund für Widerstand herauszufinden. Außerdem wurde besprochen, dass vor allem erfahrungsbasiertes Lernen helfen kann Teilnehmende für interkulturelles Lernen zu begeistern und auch auf emotionaler Ebene „Aha-Momente“ zu erzeugen. Auch in dieser Runde war erneut eine wichtige Erkenntnis, dass es darum geht die Bedürfnisse der Teilnehmenden in Trainings zu hören, als Trainer:in eine Haltung einzunehmen, die zuhört und auf das Erleben der Teilnehmenden eingeht.
Simone Treiber, Mitarbeiterin im WORT-Projekt und verantwortlich für den Bereich Organisationsentwicklung hin zu interkultureller Öffnung, leitete Workshop 2 „Wie geht man konstruktiv mit Widerstand in Organisationen um?“ mit insgesamt 16 Teilnehmenden. Ziel des Workshops war es, mögliche Berührungsängste vor der Reaktion des Widerstandes und dem Umgang mit diesem abzubauen und ein größeres Verständnis für die Regung bei Veränderungsprozessen zu wecken. Dass Veränderungsprozesse reibungslos funktionieren, kann und muss nicht das Ziel sein. Neben dem Verstehen und Erkennen der menschlichen Reaktion des Widerstandes ging es im zweiten Teil darum, wie man ihm im Veränderungsprozess begegnen kann. Welche Formate eignen sich, um ernstzunehmende Einwände offen zu legen? Und welche Prozesse der Teilhabe und Mitbestimmung sind sinnvoll, um widerständische Reaktion gemeinsam zu überwinden? Die Teilnehmenden diskutierten angeregt, teilten persönliche Erfahrungen und konnten, durch den unaufgeregten Blick auf die Emotion und den Prozess, die Workshopinhalte auf ihre persönlichen alltäglichen Arbeitsherausforderungen und Teamdynamiken anwenden. Die Rückmeldung war durchweg positiv. Der Workshop in dieser Form soll nochmal wiederholt angeboten werden und ein aufbauender Workshop (zweiter Teil) mit Fokus auf „bewährte Formen der Mitbestimmung und Partizipation im Veränderungsprozess“ angeboten werden – so das Feedback der Teilnehmenden.
WORT wird durch den Freistaat Thüringen aus Mitteln des europäischen Sozialfonds Plus gefördert.